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Ich, Tanja, wurde am 22.12.1972 als letztes Mitglied meiner sechsköpfigen Familie Dieker geboren.
Demnach habe ich noch drei gesunde Brüder, die da heißen: Jannes, Ralf und Matthias-Erich. Sie sind alle groß und schlank, nur ich hatte die sogenannte Pech-Karte gezogen. Ich kam nicht ganz gesund auf die Welt (Gewicht: 3550 Gramm Körpergröße: 51 cm Kopfumfang: 34 cm). Meine einzigen Impfungen waren die BCG-Impfung und Rachitis-Prophylaxe 5mg Vitamin D. Im zarten Alter von etwa drei Monaten merkten meine Eltern, dass ich mich nicht so entwickelte, wie es normalerweise abgeht.
Die allererste Diagnose lautete damals im Jahre 1973: Stoffwechselstörung im Kohlenhydratstoffwechsel. Da die Leber das Zentrum des Stoffwechsels ist, speichert sie Glykose in Form von Glykogen und gibt die Glykose bei Bedarf wieder ab. Und hier begann meine Störung.
Durch weitere Untersuchungen von Prof. Dr. Robert Seiler, damaliger Chefarzt des Kinderhospitals Osnabrück/Nahne und in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. H.-J. Bremer damaliger Leiter der Stoffwechselabteilung der Uni-Kinderklinik Düsseldorf (UKD), hat man den Typus dieser Krankheit u. a. auch durch eine Leberpunktion nachgewiesen. Entsprechend der Wissenschaft damaliger Zeiten hieß die Krankheit dann: Von-Gierke-Krankheit, oder auch Glykogenspeicherkrankheit Typ 1 (GSD1); heute eher bekannt unter Glykogenose Typ 1.
Diese Krankheit wurde 1929 von dem Pathologen Edgar von Gierke (1877-1945) erstmals beschrieben und ist autosomal-rezessiv vererbbar. Bei dieser Vererbung liegt die genetische Information auf einem der 22 Chromosomen; hier auf das 21. Chromosom. Sowohl die Synthese als auch der Abbau von Glykogen können betroffen sein, abhängig davon, welches Enzym defekt ist.
Bei mir herrschte, laut damaliger Erkenntnisse, also ein Mangel an dem Enzym Glukose-6-Phosphatase (G6P).
Die gestörte Glykosefreisetzung durch diesen Enzymdefekt führt zu einer vermehrten Glykogenablagerung in der Leber, welches mit Hepatomegalie (Vergrößerung der Leber) Minderwuchs, ein rundes Gesicht mit vollen Wangen, Milzvergrößerung, Hypoglykämie einhergeht.
Während die Glykogenspeicher der Leber zur Aufrechterhaltung eines konstanten Blutzuckerspiegels von Bedeutung sind, dient Glykogen in der Muskulatur dem dortigen Energiestoffwechsel (sog. Glykogenolyse). Diese Krankheit umfasst die Typen a – f. Bei einem gesunden Menschen wird die Glykose zur Energieversorgung durch Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels nicht nur aus den Kohlenhydraten der Nahrung gewonnen, sondern in Phasen ohne Nahrungsaufnahme (z.B. in der Nacht) aus dem in der Leber gespeicherten Glykogen und dem körpereigenen Eiweiß und Fett.
Bei diesem GSD Typ 1 besteht die Gefahr der Unterzuckerung, wenn die Nahrung zu wenige Kohlenhydrate enthält oder längere Zeit keine Nahrung aufgenommen wird. Daher hatte meine Mutter mich alle 2 – 3 Stunden kohlenhydratreich ernähren müssen, damit ich nicht unterzuckere.
Diese spezielle Diät war von Prof. Bremer in die Wege geleitet worden. Ich nahm auch täglich zu und wurde immer pummeliger.
Während dieser Jahre war ich immer mal wieder nächteweise im Kinderhospital Osnabrück vorstellig, um den Blutzucker stündlich prüfen zu können. Am nächsten Morgen war ich immer so müde, weil ich nicht durchschlafen konnte. Ich war damals auch sehr, sehr eingeschüchtert und ängstlich. Kein Wunder, da ich ja sehr, sehr oft dort zu Gast war. Es war fast schon mein Ferienhaus, wenn ich so zurückdenke. War mit den Schwestern per Du, habe sie immer „geärgert“, habe mich aber vor den Ärzten eher gefürchtet. Soweit war meine körperliche Entwicklung erwartungsgemäß zögerlich, aber die geistige Entwicklung dagegen wurde als altersgemäß belastbar bezeichnet.
Wohlgemerkt, ich war damals 7 Jahre alt.
Trotz der angewandten Diät meine Entwicklung nicht ganz so fortschreitend war, wurde durch den Nachfolger von Prof. Dr. Seiler, namens Prof. Dr. Karl-Ernst von Mühlendahl, eine weitere Methode angewendet.
Nachts wurde die Kohlenhydratzufuhr durch eine pumpengesteuerte Gabe eines Stärkeabkömmlings (Maltodextrin) über eine Magensonde sichergestellt.
Dieses hatte Prof. von Mühlendahl, natürlich in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Jürgen Schaub von der Universitäts-Kinderklinik Kiel, eines Tages in Erwägung gezogen. Er hatte diese Methode der nächtlichen Sondenernährung aus den USA erfahren. Wie es dann so weit war, wollte der Professor selbst die Sonde bei mir durch Nase in den Magen einführen. Er hat es nicht geschafft und landete in der Luftröhre, wonach ich ziemlich am Husten war. Nach der Überprüfung durch Röntgen, wo es überhaupt gelandet ist, hat es eine Schwester versucht, und siehe da; es hat geklappt.
Diese Prozedur haben wir von Juli 1982 bis zum Frühjahr 1989 durchgezogen. In dieser Zeit bin ich ganz schön in die Höhe gewachsen und zwischenzeitlich auch etwas schlanker geworden, nachdem ich die Sondenernährung abgesetzt hatte.
Zu Beginn meiner Krankenhaus-Tour wurden meine Eltern, die gebürtig aus Ostfriesland/Schweindorf bzw. Narp-Utarp (Samtgemeinde Holtriem) kommend, durch andere Verwandte und Freunde auf einen anderen Arzt aufmerksam gemacht, und der war in Aurich. Das war ein Heilpraktiker namens Hasso Limbach. Da wir dort sehr sehr häufig waren, nannte er mich immer „sein kleines Mädchen“. Dieser hat mich mit der der sogenannten Horvi-Enzym-Therapie (HET) zusätzlich behandelt und praktisch gerettet.
Hier ein paar Beispiele meiner Medikation:
Bitis-Reintoxin-Horvi: Reintoxin aus Bitis arietans (Puffotter)
Horvi-Nukleozym: ein Desoxyribonuklease-Komplex,
welche eine Zusammenstellung aus …
· Reintoxin aus Boththrops jararaca (Lanzenotter)
· Reintoxin aus Lachesis muta (Buschmeisterviper)
· Reintoxin aus Crotalus terrificus (Klapperschlange)
· Reintoxin aus Naja tripudians (Kobra / Brillenschlange)
Horvi-C33: Zusammenstellung von …
· Reintoxin aus Lachesis muta (Buschmeisterviper)
· Reintoxin aus Boththrops jararaca (Lanzenotter)
· Reintoxin aus Naja tripudians (Kobra / Brillenschlange)
· Bufotoxin aus Bufo marinus (Agakröte / Riesenkröte)
Das waren meistens Trinkampullen, die dann über den Tag verteilt, eingenommen werden mussten. Leider ist diese Therapie nicht wissenschaftlich anerkannt, da kein neutraler Wirksamkeitsnachweis bekannt ist. Schlangen- und andere Tiergifte enthalten eine Mischung aus 85 % Eiweiß und 15% heilsame Wirkstoffe (Neurotoxine, Aminosäure und vor allem Enzyme). Die Firma Horvi, und ihr inzwischen verstorbener Gründer Dr. Diesing, haben es geschafft, die problematischen 85% Eiweißanteil auf maximal 2% zu reduzieren. Durch entsprechende Verfahren gewinnen Sie so das therapeutisch einsetzbare Roh- oder Reintoxin. Sie sind damit meinem Wissensstand nach die Einzigen, die derartige Produkte anbieten. Tierische Gifte greifen somit primär auf zwei Ebenen den menschlichen Organismus an: beim Nervensystem und beim Herz-Kreislaufsystem. Und dementsprechend erklärt sich auf der anderen Seite oft auch die breite Anwendbarkeit.
Aber so ist es nun mal mit der Homöopathie. Entweder man glaubt daran oder nicht. Und wir haben damals daran geglaubt. Ob es nun an diese homöopathischen oder an die schulmedizinische Behandlung oder ganz einfach an beidem gelegen hat, man weiß es nicht. Das ging so an die 20 Jahre lang gut.
Auch die homöopathische Behandlung war natürlich in Absprache bzw. in Zusammenarbeit mit dem Kinderhospital Osnabrück vonstattengegangen.
Die nächtliche Sondenernährung habe ich etwa im Frühjahr 1989 beendet, da mein Blutzuckerspiegel auf die Dauer schon ganz gut aussah.
Als ich wieder mal die Weißkittel besuchte, merkte meine Mutter, dass ich ein Bein immer so nachzog. Das war etwa im Jahr 1982. Dann wurde meine Hüfte geröntgt und man stellte eine Hüftdysplasie fest. Man wollte uns zu einer OP hinführen, aber das bedeutet, dass ich vielleicht schon damals in den Rollstuhl gekommen wäre. Also haben wir es erst mal gelassen. Und da musste ich eine Thomasschiene auf der linken Seite tragen, damit die Hüfte entlastet wurde. Dadurch wurde mein linkes Bein kürzer und dünner. Diese Schiene hatte ich etwa von 1982 bis 1986 getragen.
Ich habe die Grundschule ohne großartige Unterbrechungen oder Wiederholungen hinter mich gebracht. Meine Klassenlehrerin war damals auch gehbehindert und vollschlank. Da ich damals meine Schiene auch noch trug, wurde mein Ranzen von meinen hauptsächlich "männlichen" Schulkameraden getragen. Und dann bin ich zur Hauptschule nach Wehe gekommen.
Während dieser Zeit hat mich mein Bruder Jannes mit dem Auto zur Schule mitgenommen, denn ich kam morgens nicht so gut in den Schulbus rein, und stieg mittags direkt an der Tankstelle, meinem Zuhause, aus. Diesen Zweig meiner schulischen Laufbahn habe ich auch ziemlich gerade durchlaufen.
Bis auf eine kleine Änderung. Die zehnte Klasse habe ich in Rahden beendet, da die Weher Schule im Schuljahr `89/90 leider geschlossen wurde. So ein Ärger, denn dann hätte ich vielleicht etwas besseren Abschluss gehabt. Aber egal.
Im Jahre 1988 hatte ich mit meinem Bruder einen Autounfall. Dabei ist aber nichts Größeres passiert, außer den blauen Striemen und der riesige Schreck.
Nachdem ich also die Hauptschule mit einem „mittlere-Reife-Abschluss“ so ziemlich befriedigend beendete, kam die Frage auf, was nun, Frau Dieker.
Ich habe natürlich Bewerbungen in den Bereichen der Verwaltungswirtschaft, wie z. B. Justizfachangestellte, Industrie- oder Bankkauffrau usw., geschrieben. Aber daraus wurde erst mal nichts.
Mein dritter Bruder Matthias meinte, dass ich vielleicht weiter zur Schule gehen sollte, um einen besseren Abschluss erzielen zu können. In Rahden gab es mal eine Höhere Handelsschule Dr. Kohlhase. Leider wurde sie damals dummerweise „wegen Überfüllung“ geschlossen.
Also habe ich mich in Lübbecke an der Kollegschule beworben und wurde auch angenommen. Sie sagten mir aber, dass ich es sehr schwer haben würde; so von der Hauptschule kommend.
Aber das war mir auch egal. Das war aber wirklich eine harte Zeit. Immer frühmorgens gegen 6 Uhr an der Bushaltestelle stehen, und um 8 Uhr in Lübbecke zu erscheinen und dann nachmittags gegen 16 oder 17 Uhr erst wieder nach Hause zu kommen; dann etwas „zwischen die Kiemen zu schieben“ und bis in die Nacht zu lernen bzw. Hausaufgaben fertig zu kriegen. Aber nach meiner einzigen Wiederholung dieser ersten Stufe der Höheren Handelsschule (Höhere Berufsfachschule, Bereich: Wirtschaft & Verwaltung), die überhaupt nicht schlimm war, habe ich den schulischen Teil meines Fachabiturs auch befriedigend hinbekommen.
Danach habe ich mich wieder circa ein Dutzend Mal z. B. als Steuerfachangestellte beworben und nur Absagen bekommen. Zwischenzeitlich habe ich auch versucht meinen Führerschein zu machen, der aber nicht ganz geklappt hat. Meine Fahrprüfung war im Jahre 1993: Es war alles glattgegangen, doch ich wäre noch zu ängstlich unterwegs gewesen, laut dem damaligen Prüfer. Aber egal, ich habe alles richtig gemacht, so mein ehemaliger Fahrlehrer, und bei der erst praktischen Prüfung kann man schon mal durchfallen. Dann würde ich noch ein paar Mal das Fahren üben und die Prüfung dann einfach wiederholen. Doch so einfach war es nicht.
Es war das Jahr der Entscheidungen.
Nachdem ich dann noch einmal zusammen mit meinen Eltern und meiner Oma Heyen nach Neuweier bei dem schönen Baden-Baden zu meiner Patentante Luise Herzog (Weingut Herzog) Urlaub gemacht hatten; und ich meinen heißersehnten Arbeitsplatz als Steuerfachangestellte in Rahden anfangen wollte, schlug das Schicksal zu.
Am zweiten Arbeitstag dem 03. August 1993 ging es mir morgens gar nicht gut. Ich war kreidebleich. Ich sollte dort in der Steuerkanzlei die allseits geliebten Loseblattsammlungen der NWB´s sortieren bzw. einheften und musste mich plötzlich übergeben. Ich war völlig perplex, als ich sah, was da aus mir herausquoll: Es war eine rote geleeartige Masse, welches so aussah wie gequirlter roter Wackelpudding. Eine Mitarbeiterin hat mich dann sofort nach Hause gebracht. Dort haben wir unseren Hausarzt verständigt. Dieser kam und hat eine Einweisung ins Krankenhaus ausgestellt. Nachdem ich mich etwas Sauberes angezogen hatte, fuhren wir nach Osnabrück, erst einmal ins Kinderkrankenhaus. Während der Fahrt mussten wir ein paar Mal anhalten, weil ich mich weiter übergeben habe; diesmal war es etwas dunkleres Rot. Prof. von Mühlendahl hat mich aber sofort weiter ins Marienhospital per Krankenwagen weiterleiten lassen. Dort haben sie mich untersucht und festgestellt, dass es sich um Blutungen aus den Krampfadern der Speiseröhre handelt. Es hieß genau genommen Ösophagusvarizenblutung 2. und 3. Grades, die sofort sklerosiert wurde.
Diese entstanden durch einen abnorm hohen Druck im Venensystem des Körpers. Als Ursache stand demnach meine Leberfunktionsstörung im Vordergrund. Im zuführenden Gefäß, also vor der Leber, staut sich das Blut auf. So entsteht ein höherer Druck als normal und das Blut sucht sich andere Wege zurück zum Herzen. Ösophagusvarizen werden oft erst durch die Blutung symptomatisch.
Ich habe also Blut erbrochen.
Die Therapie bestand in der sofortigen Blutstillung. Dies geschieht meist durch ein endoskopisches Verfahren (bekannt als „Schlauch schlucken“). Hier werden die Krampfadern durch einen Ballon komprimiert, mit einer Schlinge umschlungen oder mit Gewebekleber versehen (=sklerosiert).
Ich lag ca. 14 Tage im Osnabrücker Marienhospital und durfte keine festen, harten Speisen, sondern nur so was wie Wackelpudding (rote oder grüne Grütze) essen. Ich wurde dann gegen Ende August zur Weiterbehandlung nach Hannover entlassen.
Ab hier begann meine Leidenschaft mit der Medizinischen Hochschule Hannover, kurz: MHH genannt.
Die Weiterbehandlung bestand darin, dass der Pfortaderhochdruck in der Leber gesenkt wird, und zwar durch einen TIPS [=transjugulären intrahepatischen portosystemischen (Stent-) Shunt] und bezeichnet eine Verbindung zwischen der Pfortader- und der Lebervene durch die Leber hindurch. Hiermit sollte erreicht werden, dass ein gewisser Teil des Blutflusses von der Pfortader nicht in die Leber, sondern über die Vena cava inferior (untere Hohlvene) direkt in den großen Blutkreislauf fließt.
Wir, mein Vater und ich, waren also am 20. September 1993 in der MHH angekommen und ich hatte den ganzen Tag Untersuchungen. Oder besser, wir hatten auf den zu untersuchenden Arzt gewartet: Dr. Benter. Bis dieser dann endlich kam und mich untersuchte, war es später Nachmittag.
Ich wurde bei rezivierenden Ösophagusvarizenblutungen bei fortgeschrittener Leberzirrhose und bei Glykogenose Typ 1 stationär aufgenommen. Eine Sklerosierungstherapie war bereits in Osnabrück ausführlich vorgenommen worden. Hier zeigten endoskopisch weiterhin Varizen 3. Grades, so dass bei hohem Risiko einer Rezidivblutung eine transjuguläre intrahepatische portosystemischen Shuntanlage indiziert war. Nach vorhergehendem ausführlichem Gespräch mit mir und meinen Eltern wurde am 21. September 1993 eine TIPS-Anlage mit insgesamt 3 Stents durchgeführt.
Abends zuvor hatte ich keine Schlaftabletten und morgens auch keine Beruhigungstabletten genommen. Ich war also völlig relaxed.
Diese erste Operation dauerte ca. von 9 Uhr bis 13.30 Uhr. Nachdem ich kurz auf der Intensivstation (damals Station 21 Bett C) gebracht wurde, sank plötzlich mein Blutdruck rapide ab. Die Ärzte vermuteten vielleicht innere Blutungen und schoben mich gleich wieder in den OP-Saal zur zweiten OP. Haben etwa 2,5 Stunden an mir herumgefingert und keine Blutungen entdecken können, außer dass meine Leber etwas beschädigt aussah durch meine fortschreitende Leberzirrhose. Ich lag gegen 16.30 Uhr wieder auf der ITS (=Intensivstation). Das war der 21. September 1993. Postoperativ kam es zunächst zu einer deutlichen Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse. Am nächsten Tag ging es mir schlechter. Ich bekam auch eine Blutvergiftung. So ein Scheiß!!! Und ich wurde ganz gelb. Als am 24. September 1993 nachts der Anruf kam, dass die alte Leber die Giftstoffe nicht mehr verarbeiten konnte, hatten sie natürlich mich bzw. meine Werte schon längst bei Eurotransplant in Leiden/Niederlande als HU (=high urgent) angemeldet, um eine neue, passende Leber finden zu lassen.
Es kam zum Leberversagen mit anschließendem Multiorganversagen, so dass am 24. September 1993 als Ultima Ratio die Hepatektomie (=Entfernung der Leber) vorgenommen werden musste. Während ich auf eine neue Leber wartete, lag ich an der sog. Filteranlage bzw. Hämodialyse, welches auch Cramer-Filter genannt wird, zumindest hab ich das so noch in Erinnerung, welches mein Blut von Giftstoffen gesäubert hat. Die Herausnahme meiner alten Leber war dann die dritte OP. Da stiegen vorerst meine Vitalwerte wieder. Es war wirklich „high urgent“. Es musste innerhalb von 36 Stunden passieren, ansonsten hätte ich diese Geschichte jetzt nicht aufschreiben können. Wie dem auch sei, gegen 3 Uhr nachts am 24. September 1993 hatten sie eine gefunden; gegen 5 Uhr war die neue Leber eingetroffen. Sie wurde vorbereitet und ich auch, sie war gut durchblutet. Gegen 8 Uhr schoben die Ärzte mich wieder in den OP-Saal und setzten das neue Organ in mir ein. Am 25. September 1993 konnte dann die Lebertransplantation als vierte OP erfolgen. Es hat etwa 5 Stunden gedauert, vielleicht auch länger, denn die Schnellste bin ich ja nicht ;-).
Der weitere Verlauf gestaltete sich kompliziert bei zunächst weiterbestehendem Nierenversagen. Etwas später war ich wieder auf der ITS und hatte die OP so weit überstanden. Jetzt blieb nur noch „Hoffen und Bangen“, ob die neue Leber arbeitet – ja, die Galle floss ab, die Blutvergiftung ging raus und ich war nicht mehr so gelb. Hurra!!!
Am nächsten Tag den 26. September 1993 hatte ich mich stabilisiert, war aber immer noch sediert.
Dann etwas später machte uns mein rechtes Bein sorgen, es ist blau geworden und hat dementsprechend keine Durchblutung mehr.
Darüber hinaus kam es im Bereich des rechten Beines bei liegenden Dialysekathethern in der rechten Leiste zu einem thrombenembolischen Verschluss der Trifurkation sowie einem subtotalen Verschluss A. femoralis. Hier erfolgte neben einer Faszienspaltung bei Kompartment-Syndrom die Embolektomie mit Venenpatch-Plastik, die durch die gefäßchirurgischen Ärzte der MHH am 26. September 1993 als fünfte OP am Sonntagnachmittag vorgenommen wurde.
Da ich aber noch ziemlich aufgequollen war durch die Aszites, konnten die Operateure es nicht wieder schließen. Das hat den ganzen Nachmittag gedauert. Es wurde ein Blutgerinnsel in der rechten Kniegegend entfernt. So bekam ich meinen ersten Tunnel ins Bett, denn es durfte ja mit nichts in Berührung kommen. Als ich dann Besuch von meinem Bruder Jannes oder „Nanni“ (so hat er sich als Kind genannt, bevor er seinen Namen richtig aussprechen konnte) bekommen hatte, und sich das Bein ansah; rannte er wieder raus. Es sah nicht sehr appetitlich aus, ähnlich wie ein „aufgeschnittenes rohes Schnitzel“, denn es war ja noch offen.
Zwei Tage später ging es mir etwas besser, die Vitalwerte waren wieder normal. Ich war aber immer noch im künstlichen Koma, aus dem mich die Ärzte langsam wieder herausgeholt hatten.
Am 29. September 1993 machte ich die Augen auf und war ganz erschrocken. Ich wurde langsam wach, zog Grimassen und krauste die Stirn. Ich verstand auch alles, was gesagt wurde, und konnte ein bisschen meine Hände bewegen. Ich wurde immer wacher und spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Damit ich mich verständigen konnte, denn ich hatte noch immer einen Tubus in mir, hatte mein Bruder Matthias mir eine Buchstabentafel angefertigt. Ich muss sagen, er war ziemlich oft anwesend. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, weil er damals noch in Rothenburg a. d. W. gelebt hatte und bei der Autobahn-Polizei noch anstellig war, konnte er sich wohl des Öfteren frei nehmen.
Ab dem 05. Oktober 1993 wurde ich immer munterer und war sehr unruhig. Ich wollte nicht selber atmen, weil ich vielleicht etwas gehört habe, über mein rechtes Bein.
Kann sein, dass ich dort einen sogenannten „seelischen Knacks“ bekam.
Am nächsten Tag den 06. Oktober 1993 wurde ich mittags wieder in den OP-Saal geschoben, um dort mein rechtes Bein wieder zu schließen. Da ich aber immer noch ziemlich aufgequollen war, konnte es nicht komplett geschlossen werden. Die Operateure haben Spalthaut vom rechten Oberschenkel geschält und sie an dem Wadenbein wieder angeklebt. Die Operation hatte gut 6 - 7 Stunden gedauert. Das war letztendlich die sechste OP.
Nun lag ich wieder auf der ITS. Ausgerechnet an diesem Tag gab es zuhause in der Küche einen Brand. Zum Glück hat ein Kunde es sehr schnell bemerkt und sprang über den Tresen, um den Brand zu löschen. Es war ein Fettbrand, glaube ich. Ist aber alles gut ausgegangen.
Am Sonntag den 10. Oktober 1993 ging es mir schon besser und der Lungenschlauch ist rausgezogen worden und ich atmete wieder alleine. Anscheinend habe ich alles gewusst, was vorgefallen war. Ich hatte aber noch eine Nasenkanüle, wo der Sauerstoff rauskam. Als ich noch auf der ITS lag, hatte ich auch ein paar merkwürdige Träume, ich kann es jetzt nicht mehr erzählen, da es schon an die 20 Jahre her ist. Aber es waren vielleicht auch Alpträume.
Eigentlich kein Wunder. Ein paar Tage später konnte die Beatmungsmaschine ganz entfernt werden und wurde von der ITS auf die normale Station verlegt. Eine noch anhaltende milde metabolische Azidose als Restschaden des distalen Tubulus bildete sich in den folgenden Tagen weitestgehend zurück. Die Kreatininwerte erreichten Normalwerte.
In den folgenden Wochen erholte sich erfreulicherweise meine Nierenfunktion, so dass ich am 27. Oktober 1993 auf die gastroenterologischen Normalstation verlegt werden konnte.
Dort angekommen wurde die Pflege von meinen Eltern fast allein, hauptsächlich Mama, übernommen, denn die Schwestern hatten eh keine oder nur sehr wenig Zeit. Als Erstes hat mein Vater unseren eigenen kleinen Fernseher mitgebracht und in meinem Krankenzimmer angeschlossen. Denn die dortigen Fernseher liefen mit einer sogenannten Telefonkarte. Da wir damals noch kein Handy hatten, habe ich quasi illegal ferngeschaut. Ich konnte ja nichts anderes machen, außer Lesen und Schlafen. Mein rechtes Bein hatte noch einige offene Stellen. Und es musste mit Wasserstoffperoxid (H2O2) abgesprüht, hinterher mit Kochsalzlösung (NaCl) sauber gespritzt werden. Damit wurde das Bein desinfiziert.
Anfang November 1993 kam es im weiteren Verlauf der LTX zu einer milden subakuten Abstoßung, die histologisch gesichert wurde. Diese waren nach einer Steroidstoßtherapie vom 12. – 14. November 1993 erfreulicherweise gut rückläufig.
Ich war also vom 20.09.1993 bis 26.11.1993 in der MHH wohnhaft – fast 10 Wochen – und hatte ein Entlassungsgewicht von unglaublichen 60 kg!!!
Aber das änderte sich schnell, denn zwischenzeitlich waren noch einige Abstoßungsreaktionen im ersten Jahr (1994) aufgetreten und damit wurde auch die entsprechende Cortison-Medikation erhöht. Und wenn man mehr Cortison einnimmt, dann steigert dieses auch automatisch den Appetit. Heul! Da kann man nichts machen. Ich glaube, ich habe etwa 10 kg zugenommen. Nachts konnte ich auch nicht gut schlafen, da mein Bein so schmerzte. Die Schmerzen kamen daher, weil sich die Nerven einen neuen Weg sich gebahnt hatten bzw. sich neu verknüpften. Auch wenn ich sehr starke Tropfen gegen die Schmerzen verschrieben bekommen habe, viel haben sie nicht geholfen. Das war gar nicht so schön.
Da mein Immunsystem gezwungenermaßen gedrosselt wird, so dass mein neues Organ nicht abgestoßen werden kann, habe ich einige Male eine Wundrose (=Erysipel) bekommen, teilweise mit hohem Fieber verbunden. Eine Wundrose ist eine bakterielle Entzündung, meist durch A-Streptokokken ausgelöst. Diese gelangen in die Lymphgefäße der Haut und verursachen die Rötungen.
Die Hauptursache war wohl mein rechtes Beines, da es dort noch offene Stellen gab, die wir zwar jeden Tag mit Wasserstoffperoxid und NaCl desinfiziert haben. Während der Wundrosen musste ich auch viele Antibiotika nehmen, die meinen Darm auch wieder durcheinanderbrachten bzw. kaputtmachten. Aber dagegen habe ich dann täglich für zwei Wochen ein Glas „Schoenenberger Heilpflanzensaft“ getrunken, der aus Artischocken, Brennnessel, Kartoffel vermischt mit einem fruchtigen Multivitaminsaft bestand, getrunken. Eigentlich ist das eine Art Schlankheits-Kur, aber abgenommen habe ich dabei nicht, dafür aber meine Darmflora repariert. Und das ist, denke ich, wichtiger.
Wie dem auch sei. Während ich also zu Hause war, habe ich noch für eine mündliche Nachprüfung betreffend meiner fast erreichten Fachhochschulreife im Fach Volkswirtschaftslehre gebüffelt. Mein Bein war auch schon fast zu und konnte mit Krücken nach Lübbecke zur Kollegschule, um die Prüfung abzulegen. Ich habe auch bestanden. Hatte meine Fachhochschulreife (schulischer Teil) in der Tasche. Ich begann bei einer Steuerberaterin in unserem Dorf in der Zeit 01. August 1994 bis 31. Juli 1995 ein einjährig-gelenktes Praktikum. Mit diesem hatte ich dann das volle „Fach-Abi“.
Da wir, bzw. meine Eltern, eine Avia-Tankstelle mit Ford-Werkstatt und SB-Waschanlage besitzen, haben wir auch einen eigenen Steuerberater. Dieser war in Lübbecke ansässig. Vorher bewarb ich mich wieder mal bei etlichen Stellen als Steuerfachgehilfin, aber sie wollten keine Behinderte einstellen. Denn seit der LTX habe ich einen Schwerbehindertenausweis. Egal, ich fing bei unserem eigenen Steuerberater in Lübbecke an. Die Berufsschule war aber in Bünde/Westfalen und musste zweimal wöchentlich frühmorgens mit dem Zug nach Bünde fahren. Dort bin ich dann in ein Taxi gestiegen, der mich zur Schule fuhr und dieser mich auch mittags wieder zum Bahnhof zurückbrachte.
Das war ebenfalls eine harte Zeit, vor allen Dingen im Winter war es überhaupt nicht schön. Einmal hat mich sogar ein Lehrer zum Bahnhof begleitet. Ich glaube, er hieß Haupt oder so ähnlich. Mein Klassenlehrer, Herr StD Dipl-Hdl. Dipl-Kfm. Heinz Möhlmeier, sah auch etwas lädiert aus; er hat ein Feuermal, welches die Hälfte seines Gesichts aufnahm, und war dementsprechend auch sehr sozial. Eigentlich waren es alle meine Lehrer und Lehrerinnen in meiner ganzen schulischen Laufbahn. Diesen Berufsabschluss als Steuerfachangestellte in der Zeit vom 01. August 1995 bis 31. Juli 1998 habe ich dann mit einer Drei relativ gut überstanden; die reine Abschlussprüfung vor der StB-Kammer Bielefeld habe ich ausreichend hingekriegt. Bestanden ist bestanden, da fragt eh keiner mehr danach. Dann habe ich noch etwa zwei Jahre weitergearbeitet als Steuerfachangestellte.
Während meiner Ausbildung hatte ich noch einen kleinen Besuch in meiner „zweiten Wohnung“ der MHH, abgestattet. Denn meine Zehen wurden schwarz, weil keine Durchblutung im rechten Bein kaum mehr stattfand.
Es war nämlich in der Leiste eine kleine Aussackung entstanden. Das Blutgefäß in der Leiste hat eine Gefäßwandschwäche und wird auch als Aneurysma bezeichnet. Außerhalb der Aorta (Hauptschlagader) können Aneurysmen besonders in den Arterien, die die Beine versorgen, auftreten. Bei mir hat sie jedenfalls Durchblutungsstörungen im rechten Bein verursacht und es hat auch sehr wehgetan, vor allen Dingen, wenn ich das Bein hochgelegt habe und es dann wieder absetzte. Im Krankenhaus Lübbecke, wo ich zuerst war, wollten die Ärzte meine Zehen operativ entfernen. Aber da habe ich denen einen Strich durch die Rechnung gemacht und sind zur MHH gefahren. Dieses Aneurysma wurde im Dezember 1996 operativ mit einer entnommenen Vene von meinem linken Wadenbein eine Art Bypass gelegt. Der rechte Fuß wurde in einer Kaliumpermanganat-Lösung gebadet, denn sie wirkt desinfizierend, keimabtötend und hat somit meine schwarzgewordenen Zehen gereinigt. Ich war etwa 14 Tage im Krankenhaus und alle meine Zehen sind noch vorhanden.
Danach konnte ich wieder fast schmerzfrei gehen. Und meine Ausbildung fortsetzen.
Danach war das Leben auch nichts Besonderes mehr bis auf das Jahr 1999. Im Sommer 2000 habe ich noch eine vierwöchige Reha-Maßnahme in Mölln durchgeführt, die nicht besonders viel genützt hatte.
Anfang 1999 bin ich mit meinen Eltern in unser neu gebautes Haus umgezogen. Das heißt, das Haus wurde schon in 1992/93 angefangen zu bauen, dann kam eine Pause dazwischen. Der Grund für die Baupause war ich. Aber so konnte der Rohbau richtig schön stabil werden. So stabil, dass man nur sehr schlecht einen Nagel in die Wand bekommt. Egal, es ist ein schönes Haus. Ich wohne oben und meine Eltern unten.
Damals ging es noch ganz gut mit dem Treppenlaufen, aber so nach und nach schlich sich meine Muskelschwäche in den Vordergrund. Ich bin schon ein paar Mal einfach ohne triftigen Grund eingesackt bzw. wie ein nasser Sack hingefallen. Da mein rechter Fuß eingesteift ist, konnte ich mich nicht selbst wieder hinstellen und brauchte dabei Hilfe.
Aber diese Muskelschwäche haben wir damals nicht so beachtet und es damit abgetan, dass ich einfach nur zu faul bin, wenn auch nur zu Hause, mich genügend zu bewegen. Ich habe zwar etwas hin und wieder „Gewichte gestemmt“, etc., aber das immer nur alleine. Ich war sogar in einem Fitnessstudio, zusammen mit meinem Vater. Der musste auch dringend abnehmen. Eine Zeit lang ging das auch gut, aber dann kam der „Schweinehund“ hervorgekrochen und hat sich breitgemacht. Anfangs habe ich zu Hause weitergemacht. Aber meine Eltern wollten es einfach nicht glauben, dass ich mich bewegt habe/Sport gemacht habe. Und so kam auch nach und nach eine sogenannte latente Egalität oder Depression zutage. Es war mir damals noch nicht so klar, und heute manchmal auch nicht, dass ich diese Bewegungen täglich machen muss. In dieser Zeit schlich sich auch meine Inmobilität der Schultern ein. Ich konnte meine Arme nicht mehr so gut anheben. Teilweise schmerzte es auch. Dieses wurde dann auch in der zweiten Reha-Maßnahme, wieder in Mölln, auch mit Ultraschall und Röntgen untersucht. Man konnte aber nichts großartig Weltbewegendes entdecken, woran diese Immobilität läge. In dieser „Kur“ habe ich aber mehr zu tun gehabt als die vor neun Jahren. Aber abgenommen habe auch hier nicht.
Mein Laufen wurde immer schlechter, so dass ich einen Rollator brauchte. Zuerst ging es noch mit Unterarmgehstützen, auch hier wurde ich immer wackliger auf den Beinen. Und meine Angst wuchs und wuchs. Ich konnte zwar noch etwas laufen, aber nur nach vorn gebeugt auf dem Rollator stützend. Bis ich mich sitzenderweise auf dem Rollator seitdem fortbewege, wie in einem Rollstuhl.
Im November 2009 habe ich dann ein sogenanntes Pflegebett bestellt und aufbauen lassen, denn ich konnte auch nicht mehr so gut aus meinem tollen Kingsize-Bett aufstehen, weil es zu niedrig war. Als ich dann von meiner Kur wiederkam, haben wir auch einen Treppenlift einbauen lassen. So kann ich gefahrlos nach oben in meine Wohnung fahren und müsste nicht nach unten ziehen. Glücklicherweise wurde der Treppenlift von einem Kostenträger, wie der Rentenversicherung, komplett übernommen, da ich noch im Arbeitsleben stehe.
Im Sommer 2010 bin ich dann in meinem „Wohnzimmer“ eine Woche lang (28.06.-02.07.2010) auf der Neurologie (Station 45) gewesen und einen ersten neurologischen Check-up machen lassen, um herauszufinden, warum ich langsam schwächer wurde und ich ein paar Mal ohne Grund hingefallen war.
Ich wurde von Kopf bis Fuß quasi durchleuchtet zum Beispiel mit einer MRT (=Magnet-Resonanz-Tomographie). Man nennt es auch Kernspintomographie. Bei dieser Untersuchungsmethode entstehen auch laute Klopfgeräusche, die von den elektromagnetischen Schaltungen herrühren aber völlig normal sind. Man darf nur keine Platzangst haben, denn die „Röhre“ ist nur 70 – 100 Zentimeter breit.
Es wurden auch noch weitere Untersuchungen durchgeführt, wie die Messung der Nervenleitungen per EMG oder Gehirnstromleitungen per EEG. Vor allem das EMG (=Elektromyographie) hat teilweise sehr wehgetan. Es wird mit einer Nadel in den Muskel gestochen, vorher ein anderes Metallplättchen am Arm befestigt, damit man die Spontan-Aktivität in der Muskulatur sichtbar machen kann. Diese Untersuchungen benötigt man, um festzustellen, ob man eine Myopathie (Krankheit muskulärer Ursache) oder Neuropathie (Krankheit nervlicher Ursache) hat. Elektromyographisch zeigen sich auch hier myopathische Veränderungen.
Eine weitere Untersuchungsmethode, der Elektrophysiologie, besagte, das bei dieser damaligen Untersuchung, dass sich zusammenfassend eine vorwiegend axonale Schädigung am N. peronaeus links motorisch und N. medianus rechts motorisch, aufzeigt. Und das Ergebnis ist, dass meine Nerven in den Beinen und teilweise auch in den Armen ziemlich lädiert sind.
Und bei einem Schädel-CT wurde eine kleine Sulkuserweiterung rechts frontal mit anliegendem Hämosiderinrest (Verkalkung ist ätiologisch unklar) mit einem insgesamt benignen Charakter gefunden.
Die Ärzte dort haben dann noch empfohlen, einen ambulanten Gentest auf Glykogenose Typ III, IV, VI in dem Labor für Stoffwechselgenetik Dr. med. T. Podskarbi in München durchführen zu lassen. Also habe ich ein Röhrchen Blut dort hingeschickt und das Ergebnis war verblüffend.
Hier die Werte:
Glykogen in Erytrozyten 20,0 mg/dl (Normbereich 0-10)
Amyloglukosidase in Erythrozyten 0 nmol/min/g Hb (Normbereich 0,6 – 3,5)
Phosphorylase-Kinase in Erythrozyten 120 µmol/min/g Hb (Normbereich 100 – 300)
Branchingenzym in Erythrozyten 15,7 (Normber. 8 – 25)
Phosphorylase a(a+b) in Leukozyten 7(35) nmol/min/mg Protein (Normbereich 5 - 20(10-50))
Es ist also letzendlich die Glykogenose Typ III, auch Cori- oder Forbes-Krankheit, GSD3 genannt.
Sie ist ebenfalls eine autosomal-rezessive erbliche Speicherkrankheit, bedingt durch den Mangel des Enzyms Amylo-1,6-Gucosidase (debranching enzyme, GDE), und ist eine Form von Glykogenspeicherkrankheit mit schwerer Muskelschwäche und Hepatopathie.
Dann hatte ich das Bedürfnis mal länger in der MHH zu verweilen. Plötzlich bekam ich eine sog. Magen-und-Darm-Grippe. So dachte ich zumindest. Es blieb nichts drin, habe alles wieder ausgekotzt. Und das in der Zeit als der EHEC-Erreger seinen Lauf nahm. Es fing am 30.05.2011 an und war 3 Tage im Bett, konnte kaum alleine zum Klo. Ich war damals auch ziemlich dehydriert und musste mit dem Krankenwagen zuerst einmal ins Rahdener Krankenhaus am 02.06.2011 eingeliefert werden. Dort haben sie mich erst mal an den Tropf gehängt, damit ich etwas Flüssigkeit bekam. Nur die Ärzte dort wussten auch nicht recht was Sache war und haben vergeblich versucht mir in der Zeit bis zum 08.06.2011 einen ZVK zu legen, aber sie haben es nicht geschafft. Ich war also ein paar Tage dort und wir veranlassten dann die Weiterbehandlung in der MHH durchführen zulassen.
Als ich in Hannover angekommen, war ich sichtlich froh darüber, wieder in mein „Wohnzimmer“ zu sein. Auch wenn mir trotzdem so übel drauf war. Ich wurde also wegen Übelkeit, Erbrechen und wässrigen Diarrhoen. Dort wurde ich richtig durchgecheckt und zu allererst wurde der ZVK in ca. 15 Minuten gelegt. Was für ein Wunder! Ich war dort vom 08.06. – 02.07.2011. Und das Ergebnis war eine virale Gastroenteritis womöglich durch unerwünschte Medikamentenwirkung und ich hatte auch ein akutes prärenales Nierenversagen, quasi kurz an der Dialyse vorbeigeschrammt. Was für ein Glück. In dieser Zeit wurde auch ein Immunsuppressionsmittel ausgetauscht und zwar von CellCept 2x1000mg auf Myfortic 2x180mg. Was für ein Sprung. Es war also „nur“ ein normaler Durchfall, der außer Rand und Band geriet und kein EHEC oder andere Erreger. Puh! Ich war aber noch ziemlich geschwächt als ich wieder nach Hause kam, und brauchte noch ca. 4 Wochen, bis ich wieder arbeiten konnte. Eine Zeitlang ging das noch gut. Ich fahre mit meinem Scooter zur Arbeit, stieg auf den Rollator um ins Büro zu rollen und mich dort auf den Bürostuhl zu setzen. Aber im Jahre 2014 begann es, dass ich mich nur noch sehr schwer alleine auf den Rollator umsetzen konnte, nur manchmal unter Hilfestellung. Damals hatte ich schon nach einem E-Rollstuhl Ausschau gehalten, mit dem ich direkt ins Büro rollen konnte, um zu arbeiten. Nur leider hatte meine „Chefin“ irgendwann mal gemurmelt, dass ich die Lohnabrechnung, welches meine Hauptarbeit war, nicht mehr machen sollte. Warum weiß ich bis heute nicht. Ich glaube, dass das auch mit dazu beigetragen hat, dass ich emotional abgebaut habe.
Also bin ich im April 2014 noch einmal zu einem einwöchigen neurologischem Checkup (02.04.-10.04.2014) in die MHH gefahren. In der Zeit wurde unter anderem eine Muskelbiopsie gemacht, um genauer feststellen zu können, um welchen GSD Typ es sich nun dreht. Herauskam der GSD Typ 3a, die in 2011 genetisch gesichert wurde.